Drei Fragen an Anja Meyer, Kompetenzzentrum Kinderschutzbund NRW (2016)

Wie oder wie oft kommt Beteiligung vor? Was hat die Literaturrecherche ergeben?

Wichtig sind hier vor allem die qualitativen Untersuchungen, in denen Akten unter dem Gesichtspunkt „Wie wurden Kinder und Jugendliche im Fallverlauf beteiligt?“ analysiert wurden. Demnach existiert Partizipation von Kindern und Jugendlichen vor allem als normative Leitlinie bei den freien Trägern oder im Jugendamt, doch es fehlt die gelebte Praxis. Manche glauben, Beteiligung sei schon, wenn das Kind beim Hilfeplangespräch mit am Tisch sitzt. Andere sehen die offene Flanke sehr wohl, es fehlt ihnen aber das Know-how, angesichts einer oft komplexen Gemengelage aus Handlungsdruck, Entwicklungsstand des Kindes, Belastungssituation etc. Trotz klarer gesetzlicher Vorgaben sind die realen Partizipationschancen von Kindern und Jugendlichen abhängig von der jeweiligen Organisationskultur, zum Beispiel im Jugendamt, sowie den professionellen Handlungskompetenzen und -stilen auf Seiten der Fachleute.

 

Wie zeigt sich das in der Praxis beim Hilfeplangespräch oder bei der Gefährdungseinschätzung?

Im Einzelfall kann das so aussehen, dass die Fachkraft sehr wohl weiß, dass für den Kontakt zu dem Jugendlichen mehr Zeit oder vielleicht ein Ortswechsel (z.B. Eis essen) hilfreich wäre. Doch nicht immer lässt das Setting in der Organisation solche Strategien zu. Man hat außerdem qualitativ untersucht, wovon es abhängt, ob Partizipation geschieht oder nicht. Entscheidend ist hier u.a. welches Bild, welche Vorstellung die Fachkraft von dem Kind oder Jugendlichen hat. Sieht sie, zum Beispiel das Kind, vor allem als „Opfer“ der schwierigen familiären Situation? Eine solche Voreinstellung stellt vorab schon die Kompetenz dieses Kindes in Frage, an einer Lösung mitzuwirken. Das steht echter Beteiligung dann unter Umständen im Weg.

Oft entscheidet sich außerdem in den ersten Gesprächsminuten, ob Beteiligung zustande kommt oder nicht: Wenn ein Jugendlicher zunächst „schwierig“ reagiert, beispielsweise widerwillig auf Fragen antwortet oder schweigt, nimmt das Bemühen der Fachkraft, ihn einzubinden, weiter ab. Der Abgleich der eigenen Sicht mit der des Kindes/Jugendlichen findet dann nicht statt. Der Hilfeprozess gerät ins Stocken oder kommt gar nicht erst zustande.

 

Was macht die Umsetzung des Rechtsanspruches auf „Beteiligung“ so schwierig?

Egal ob ich beim Jugendamt arbeite, beim freien Träger oder ob ich ein „Geheimnisträger“ bin, das Gesetz sieht vor, dass ich Kinder und Jugendliche an der Gefährdungseinschätzung beteilige „soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird“. So lautet der Gesetzestext. Doch die Herausforderung ist: Wie mache ich das, die Sicht von Kindern- und Jugendlichen auf eine Situation einzuholen, die sehr heikel und sehr unangenehm ist? Hier ist Erfahrung, Wissen und Fingerspitzengefühl gefragt. Kinder und Jugendliche durchleben in diesen Situationen große Loyalitätskonflikte. Das verstärkt die Unsicherheit bei den Fachkräften, die je nachdem wie die Situation einzuschätzen ist, unter Handlungsdruck stehen. Beteiligung aber erfordert Vertrauen und Kontakt. Kein Kind gibt auf Knopfdruck belastende Informationen preis. Unsere Erfahrung ist: Es gibt in der Praxis durchaus das Bemühen um Beteiligung, aber sie gelingt viel zu selten. Schade! Denn es ist fruchtbar, wenn man Kinder- und Jugendlichen in den Prozess einbindet, und echte Beteiligung erhöht die Akzeptanz der angebotenen Hilfe.