Andere Settings / andere Abläufe

Flure und Büros im Jugendamt sind in der Regel unspannend und atmosphärisch einschüchternd. Daran ändert auch die typische Spielecke nicht viel. Häufig führt sie dazu, dass Kinder in der Hilfeplanung ganz außen vor bleiben. Eltern und Jugendamt verhandeln hinter geschlossenen Türen, während die Kinder die Spielecke nutzen. Wenn’s ernst wird, bleiben die Großen unter sich. Kinder verstehen die Botschaft. Wie geht das anders?

  • Kinder ernst nehmen. Mit ihnen sprechen und sagen, dass es jetzt nicht ums Spielen geht. Die Botschaft: Du bist gefragt; deine Meinung ist wichtig; und du sollst dabei sein.
  • Räumliche Gegenentwürfe schaffen. Die Leitüberlegung kann für den Einstieg sein: Was hat in der eigenen Kindheit oder bei Kindern, mit denen man zu tun hat, für Sicherheit gesorgt?  Dabei sein, aber nicht im Fokus stehen, ist eine (mögliche) Antwort. Ein „Versteck“ im Raum kann einem Kind diese Sicherheit geben, etwa ein Kriech- oder Verstecktunnel aus Stoff, wie er Standardausrüstung in jeder KiTa ist. Das bietet Schutz und zugleich die Möglichkeit, alles zu hören, zu beobachten und bei Bedarf auch mitzureden.
  • Raus aus dem Jugendamt? Um den Block laufen, im Gehen miteinander ins Gespräch kommen, in eine Richtung schauen, eine neue Umgebung für beide Seiten gegen die Gastgeberrolle im Jugendamt – in der Heimerziehung wird mit solchen Modellen der Raumöffnung gearbeitet. Manche Jugendämter nutzen die Erfahrungen der Fachkolleg/innen dort und integrieren die Erziehungshilfen in den Alltag: Therapiehund, Coaching im Wald, Gruppendiskussionen mit mehreren Kindern über Regeln und Rechte – undenkbar im Jugendamt? Es gibt bereits wenige, die hier erfolgreich experimentieren, um mehr Beteiligung zu schaffen. 
  • Neue Impulse für die Gesprächsrollen. Dem Kind, das sehr verschlossen ist, eine unbefangen Erzählmöglichkeit anbieten, z.B. zusammen Tee kochen, Tisch decken, backen etc.
  • Malen statt reden. Türöffner aus dem therapeutischen Bereich bringen neue Ideen in die gewohnte Gesprächsroutine. Ein Beispiel dazu aus der Erziehungsberatung: Mit Filzstiften wird comicartig (6-8 Bildkästchen) eine Spur gelegt: 1) So ist es jetzt zu  Hause. 2) Wie soll es beispielsweise in einem halben Jahr sein? 3)-8): Die möglichen Zwischenschritte bis dahin. Sie werden im Zwiegespräch entwickelt: Was wäre ein erster Schritt (als Comic gezeichnet)... etc. Dazu ein „Helfertier“? Und die Frage: Ist es groß genug? Oder noch zu klein? Womit kann ich es füttern?

 

Richtig reden / richtig hinhören

Es genügt nicht, die Möglichkeit von Beteiligung theoretisch anzubieten. Es wird mit zu den Aufgaben gehören, dieses Recht auch praktisch einzuüben, indem die Gelegenheiten dazu in die Prozessabläufe eingebaut werden.

  • Die Perspektive der Kinder und Jugendlichen nutzen. Sie ist eine Ressource für den gesamten Hilfeprozess. Wenn Beteiligung unterbleibt, werden diese Kompetenzen nicht abgefragt. Bleiben die Kinder und Jugendlichen bei der Entscheidungsfindung außen vor, fühlen sie sich für die am Ende gefundene Lösung weniger zuständig. Offene Aussprache, Brainstorming, Aushandeln von Ideen, Gleichwertigkeit aller Vorschläge etc. sind gängige Moderationsmethoden, wie man sie beispielsweise in der Moderation von Gruppenabenden lernt.
  • Offen sein. Dialogisches Arbeiten in der Zielplanformulierung bedeutet, dass möglichst verschiedene Varianten auf den Tisch kommen und durchdacht werden. Zum Einstieg kann eine gemeinsame Vision von Familie hilfreich sein: Eltern und Kinder werden beispielsweise gefragt, was für sie in im Familienalltag besonders schön / bedeutend / aufregend ist. Das bietet oft einen Ausgangspunkt, an dem sich anschließend gut anknüpfen lässt – methodisch mit der richtigen Fragestrategie.
  • In die Schuhe der anderen steigen. Der Rollenwechsel hilft die Perspektive des kleinen Kindes, des genervten Jugendlichen, des wütenden Mädchens kennen zu lernen: sich z.B. in der kollegialen Beratung gegenseitig erzählen von der Wut und den Ausbruchwünschen. In einem  Aushandlungsprozess zu verstehen suchen, warum das Kind trotzdem nicht aus der Familie will. Alternative Lösungen, einen anderen Hilfeweg finden – und das Wissen um die Emotionen und die erlebten Widerstände später mit in die reale Aushandlungspraxis nehmen.
  • Projekt als Einstieg. In der Heimerziehung ist das oft gute Praxis: Kinder und Jugendliche kommen in Gruppendiskussionen zu Wort, wenn es um die Hausregeln oder um kritische Rückschau auf Vorkommnisse geht. Denn sie können differenziert argumentieren, ihre Bedürfnisse mitteilen und bekommen oft viel mehr mit, als die Erwachsenen vermuten würden. Kinder können als Experten in eigener Sache die Pädagogen mutiger machen. Im Jugendamt sind solche Runden Tische keineswegs ausgeschlossen. Alternativ lohnt es sich, über ein Heimprojekt / in der Hospitation zu erleben, was da am runden Tisch, in der Heimversammlung oder im Kinderparlament möglich ist.
  • Die Moderatorenrolle ist zu vergeben. Das Hilfeplangespräch braucht Moderation. Die Gesprächsführung hat dabei auch die Aufgabe, die Spielregeln zu erläutern und die Möglichkeiten bei der gemeinsamen Entscheidungsfindung zu klären. Doch wer übernimmt die Rolle an einem Tisch, an dem alle – auch die Jugendamtsmitarbeiterin – Beteiligte im Verfahren sind? Es lohnt sich, sich im Team mit diesem Zwiespalt zu befassen. Gibt es Alternativen? Probeweise wechselseitig Moderieren hilft klarer und gelassener in der Gesprächsführung zu werden. Moderationstrainings verhelfen zu mehr professioneller Distanz zum Vorteil einer Zielentwicklung, die möglichst alle einbezieht.
  • Moderation mit Haltung und Methode. Sich auf etwas einlassen, dem Kind, den Eltern etwas zutrauen und ihnen auch schwierige Antworten zuzumuten – eine zielführende und dennoch empathische Gesprächsführung lernt man im Methodentraining.

 

Wissen / Können / Haltung zeigen

Kinder und Jugendliche wissen, dass in der Gefährdungseinschätzung und im Hilfeplangespräch wesentliche Entscheidungen getroffen werden. Es geht unmittelbar um ihr Leben, wenn festgelegt wird, ob es Besuchskontakte zu den Eltern gibt oder wie oft man sich sehen wird. Die Fachkräfte haben mit ihrem Wissen, den eigenen Vorvermutungen und ihrer Vorstellung von Kinderschutz immer einen  Vorsprung. Die Gefahr besteht, dass auch aus gut gemeinten Gründen echte Beteiligung unterlaufen wird. Gut, wenn sie es schaffen, ihr Handeln immer wieder kritisch zu hinterfragen.

  • Selbst entscheiden dürfen. Diese wesentliche Erziehungsansage im privaten Kontext braucht ein Gegenstück in der Hilfeplanung. Eine andere Meinungen zulassen und Zutrauen zu haben zu der Entscheidung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen des Machbaren – ist die hier geforderte Haltung. Sie ist Grundlage jeder wirklichen Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Diesen Auftrag, der sich aus dem Mitwirkungsrecht der Kinder und Jugendlichen für die Fachkräfte der Erziehungshilfe ableitet, gilt es anzunehmen.
  • Anders als Familie? Jugendhilfe ist der öffentliche Raum. Wenn Kinder gewalttätig sind, Jugendliche sich selbst verletzten etc. führt das zu einem „Eintrag in die Akte“. Das (hilfreiche) Vergessen, das es in der Familie gibt, gibt es in der Jugendhilfe so nicht. Kritische Selbstreflexion ist hier gefordert: Wie denke ich selbst über die gesellschaftlich gesetzten Normen? Sie sind kein Gesetz, wer sie überschreitet wird nicht bestraft, sondern bekommt Hilfe – doch wer vergibt den Erziehungsauftrag um den es hier geht. Und wer definiert die Richtung? Was sind die eigenen Grenzen, etwa, wenn es um Gewalt geht? Zu welchen anderen Vorstellungen bin ich bereit?  Das Gegenstück zu dem, was in der Familie möglich ist, die situative Aussprache und Grenzziehung, muss im professionellen Bereich methodisch erst entwickelt und verfestigt werden.
  • Fallverläufe kritisch neu beleuchten. Fehlverläufe haben nicht selten eine Vorgeschichte, die nicht nur beim Jugendlichen liegt. In der Jugendhilfe beurteilen Erwachsene Regelverstöße wie Pornogucken, Gewalt oder Drogen. Oft fehlt ein Beteiligungsprozess, in dessen Verlauf sich der Jugendliche hätte erklären müssen. Es fehlen Moderation und Aushandlung. Nicht selten ist in der Rückschau erkennbar, wie hier zusätzlicher Konfliktstoff aufgebaut wird. Das Kompetenzzentrum Kinderschutz bietet die analysierende Fallrückschau eines abgeschlossenen Falls im Team an. Das bietet die Chance bei ungut verlaufenen Jugendhilfe-Fällen die Stolpersteine zu erkennen.
    Fachlichkeit und Informiert-Sein hilft gegen den Trend der Therapeutisierung: Problemlösungsstrategien oder unangepasstes Verhalten von Jugendlichen wird allzu oft vorschnell als problematisch oder therapiebedürftig eingeordnet.
  • Haltungen hinterfragen. In kritischen Hilfekonstellationen ist es nahe liegend und entlastend, dass sich Fachkräfte eine persönliche Meinung zu den (Fehl)Verhalten der beteiligten Erwachsenen bilden. Problematisch wird es dann, wenn innere Widerstände aufkommen und die Bereitschaft geringer wird, die zu beteiligen, die man für unfähig und unzulänglich hält. Ist da jetzt nicht die Zeit, nach Ressourcen zu gucken? Zum professionellen Handeln gehört die Reflexionsfähigkeit, ob die eigenen Ansprüche an Eltern manchmal zu hoch sind. Der immer wieder neue Blick beispielsweise auf Benachteiligung, Vorbildung und Armutsverhältnisse ist gefordert. Welches Bild (der Eltern) habe ich aktuell, zu welchem veränderten Bild bin ich bereit?
  • Am eigenen Selbstbild arbeiten. Bin ich als Fachkraft Retter, Begleiterin, Unterstützer, Aufräumerin, Helfende oder...? Wie passt Beteiligung in das eigene Rollenprofil? Welche Bild leitet und beeinflusst das eigene Handeln in der Folge? Ein lohnendes Thema für Teamsupervision, Fallberatung oder kollegiales Brainstorming.
  • www.ombudschaft-nrw.de Wie gelingt es, die relevanten Themen nicht über die Köpfe der Kinder und Jugendlichen hinweg zu verhandeln? Im Hilfeplanverfahren fehlt eine Person, die ganz für den Jugendlichen oder das Kind da ist. Wenn Familienorientierung und die Eltern einbinden Leitlinien sind, können die Interessen des Kindes aus dem Blick geraten. Kinder und Jugendliche wenden sich bei schwierigen Jugendhilfeverläufen regelmäßig an die Ombudschaft Jugendhilfe NRW u.a. mit dieser Frage: Wen kann ich zu meiner Unterstützung mitnehmen? Die Expertise der Ombudschaft Jugendhilfe NRW zur Beteiligung im Hilfeplanverfahren steht zur Verfügung.

 

Beteiligung wirkt. Die wichtigsten Effekte auf einen Blick

  • Die Erwachsenen im Verfahren (Fachkräfte und anwesende Eltern) erfahren mehr von dem, was Kinder und Jugendliche gut können: ihre Anliegen vorbringen, ihre Argumente nennen und für ihre Ansichten wenn nötig auch streiten.
  • Beteiligung schafft mehr Akzeptanz. Wenn Kinder und Jugendliche an den Entscheidungen, die sie betreffen beteiligt werden, übernehmen sie selbst  Verantwortung. Der Hilfeverlauf gelingt besser.
  • Die Perspektiven der Kinder und Jugendlichen bringen frische Impulse in die Hilfeplanung und justieren die Denkrichtungen und Lösungswege neu und helfen raus aus den (schädlichen) Routinen.
  • Ein faires Hilfeplan-Verfahren ist transparent, auch wenn die Vorschläge des Kindes nicht zum Tragen kommen können. Klarheit bedeutet dann, zu begründen, warum anders entschieden wurde. Das legt die Basis für den weiteren gemeinsamen Weg im Hilfeverfahren und kann entscheidend sein für weitere gut laufende Beteiligungsprozesse.
  • Zu den Chancen für ein faires Verfahren kommt der Imagegewinn hinzu. Jugendhilfe, die auf Beteiligung setzt, wird Serviceorientierter sein und die Botschaft transportieren: Wir möchten dass der Hilfeprozess gelingt, nutzen die Spielräume, die vorhanden sind und schaffen Raum und Zeitressourcen um den Auftrag gerecht zu werden.
  • Die eigenen Haltungen und Rollen im Verfahren werden (wieder) reflektiert – und im Sinne des eigentlichen Auftrags hinterfragt. Unflexible, starre Haltungen sind nicht zielführend. Handlungsfähig bleiben ist das Ziel. Beteiligung klärt frühzeitig  Widerstände und Blockaden.  
  • Die Gefährdungseinschätzung und Hilfeplanung ist wirksamer, wenn sie mit den Kindern und Jugendlichen auf dem Weg der Beteiligung abgestimmt wurde. Die Perspektive der Kinder und Jugendlichen ist Ressource und große Chance für das Gelingen des Hilfeprozesses.